„Wenn deine Firma nicht jetzt schon agil ist…“

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“Wenn deine Firma nicht jetzt schon agil ist, wird sie es wahrscheinlich nie”, sagt David Tanzer, Agile-Trainer und Speaker auf der W-JAX 2016. Ganz schön provokant! Im Interview mit JAXenter verrät David, welche Gründe für diese Meinung sprechen, wie man selbstorganisierte Teams organisiert und ob wir eine neue Stufe der Agilität – aka DevOps – brauchen.

JAXenter: Hallo David! Viele Firmen wollen agil werden, tun dies aber nur oberflächlich, indem sie im Prinzip nur ein neues Vokabular einführen und einige agile Rituale übernehmen: Aus “Managern” werden plötzlich “Scrum Master”. Du selbst hast einmal geschrieben, es fehle in solchen pseudo-agilen Unternehmen meist die “Business Agility” – was meinst du damit?

 

Die Entwickler dürfen gerne ihr Scrum-Spiel spielen – aber nur, wenn sie nicht mit dem Rest des Unternehmens anecken.

David TanzerIn vielen Firmen, mit denen ich oder Kollegen von mir zu tun hatten, läuft das im Prinzip so ab: Die Entwickler dürfen gerne ihr Scrum-Spiel spielen, wenn sie das wollen. Aber nur, wenn sie nicht mit dem Rest des Unternehmens anecken. Also werden Anforderungen hauptsächlich zu Projektstart erhoben, weil man das immer so gemacht hat. So kann es nach dem Erstellen einer User Story schon mal Wochen oder Monate dauern, bis die Entwickler sie überhaupt in die Finger bekommen. Dann wird sie innerhalb von einem 2-Wochen-Sprint entwickelt und ist “done”.

Aber ein kompliziertes Release-Prozedere mit zentralem Release-Management und Übergabe an den Betrieb verhindert, dass die Software sofort ausgeliefert wird. Wieder vergehen Wochen. Die Endbenutzer bekommen die neuen Features erst nach dem nächsten Release-Termin.

Mit Business Agility meine ich, dass das Unternehmen als Ganzes schnell auf eine sich ändernde Welt reagieren kann. Das kann nicht funktionieren, wenn nur das Entwicklerteam agil arbeitet, oder arbeiten will, der Rest des Unternehmens aber nicht.

JAXenter: Das erinnert mich sehr an aktuelle Debatten aus der DevOps-Bewegung, bei denen es auch um die Transformation des gesamten Unternehmens geht. Viele bezeichnen DevOps ja als “die nächste Stufe der Agilität.” Und es ist ja auch leicht nachvollziehbar, dass selbst unter Entwicklern eine gewisse Ablehnung agiler Methoden entsteht, wenn sie nur halbherzig vom Management unterstützt werden.

David Tanzer: Agile Softwareentwicklung war ursprünglich als Werkzeug für Entwickler gedacht, um ihre Arbeit besser zu erledigen. Software in besserer Qualität, die wirklich das tut, was der Kunde will, schneller mit weniger Überstunden entwickelt. Man wollte das durch Kommunikation und einem Fokus auf gute Arbeit erreichen. Heute sieht man in manchen Firmen, dass eine Scrum- oder SAFe- Einführung vom Management getrieben wird, um Entwickler besser zu kontrollieren und Geld zu sparen. Der Fokus auf Qualität, gute Arbeit und Kommunikation geht total verloren. Daher kommt dann die Ablehnung.

Ich denke, dass DevOps, BizOps, Software Craftsmanship und ähnliches gute Ideen sind. Aber wenn sie mit denselben Methoden eingeführt werden wie vorher Scrum oder SAFe – rein vom Management getrieben, nur um Kosten zu sparen, ohne Mitspracherecht der beteiligten Personen – dann werden sie auf genau dieselben Probleme und dieselbe Ablehnung stoßen.

JAXenter: Wenn wir gerade beim Thema Mitspracherecht sind: In vielen aktuellen Debatten um Agile und DevOps geht es um selbstorganisierte Teams. Doch wie organisiert man selbstorganisierte Teams? Ganz ohne Rechenschaft über Arbeitsweise, Teamstrukturen und Ergebnisse abzulegen, geht es wahrscheinlich nicht, oder? 

 

Es ist extrem wichtig, dass ein Team Rechenschaft über Ergebnisse ablegen kann.

David Tanzer: Es ist extrem wichtig, dass ein Team Rechenschaft über Ergebnisse ablegen kann und zeigen kann, dass es seine Ziele erreicht hat. Und am besten auch noch, dass die Ziele auch tatsächlich sinnvoll waren. Wenn ein Team oder eine Abteilung die Businessziele des Unternehmens unterstützt und mehr Wert für das Unternehmen erzeugt als Kosten, dann sollte die Arbeitsweise oder die Teamstrukturen eigentlich egal sein.

JAXenter: Du wirst diese Themen ja auf der W-JAX in deinem Talk vertiefen. Im Session-Abstract schreibst du etwas sehr Provokatives, nänlich: „Wenn deine Firma nicht jetzt schon agil ist, wird sie es wahrscheinlich nie.“ Ist die agile Transition also gerade in der heutigen Zeit schwieriger, als sie es früher war?

David Tanzer: Das Agile Manifest wurde 2001 geschrieben. Agile Softwareentwicklung gibt es schon länger. Wenn Firmen, die es schon seit 20, 30 oder 50 Jahren gibt, heute noch nicht agil sind, hat das oft einen von zwei Gründen: Sie haben diese Entwicklung verschlafen – seit über 15 Jahren – oder sie haben die agile Transition schon hinter sich, haben es aber trotzdem nicht geschafft, wirklich agil zu werden. In beiden Fällen sehe ich eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit, dass diese Firmen in der nächsten Zeit doch noch agil werden. Aber: Manche Firmen ändern sich doch…

JAXenter: Warum denkst du sind viele junge, kleine Firmen einfach schon so agil, während es traditionellen, großen Firmen so schwer fällt, agil zu werden? 

David Tanzer: J.B. Rainsberger schreibt, bei agiler Softwareentwicklung geht es um “the pursuit of sustained early earned value, also known as Cash In My Pocket” (enthält Schimpfwörter). Viele junge, kleine Firmen haben gar keine andere Wahl, als alles zu tun, um schneller zu mehr Geld zu kommen. Sie müssen schnell auf eine sich ändernde Welt reagieren, und sie müssen ihre eigenen Fehler schnell korrigieren, weil sie nicht genug Geldreserven haben, um es langsam zu tun.

JAXenter: Vielen Dank für dieses Interview!

 

David Tanzer, Biografie:
David Tanzer ist seit 2006 als freiberuflicher Berater, Trainer und Softwareentwickler tätig. Im Rahmen dieser Tätigkeit beschäftigt er sich mit Softwarequalität in agilen Projekten, also unter anderem mit den Themen Architektur in agilen Projekten, Softwaredesign, agiles Anforderungsmanagement und Testen. David „spricht“ mehrere Programmiersprachen und ist als Entwickler sowohl im Frontend als auch im Backend – vor allem von Webanwendungen – zu Hause.

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